Andrina Jörg

Kunstbulletin

‹Voici un dessin suisse›

Die Ausstellung mit dem ironischen Titel ‹Voici un dessin suisse› liefert, wie zu erwarten, keine präzise Antwort auf die brennende Frage, was eine Schweizer Zeichnung denn sein könnte, gibt aber Einblick in die überraschende Entwicklung des hiesigen zeichnerischen Schaffens der letzten zwanzig Jahre.

Die beiden Kuratorinnen Julie Enkell (Musée Jenisch, Vevey) und Madeleine Schuppli versammeln in der vielseitigen Schau rund 40 Kunstschaffende, welche die Zeichnung als Ausdrucksform bevorzugen. Die Ausstellungsmacherinnen orten die aktuellen Tendenzen und verfolgen die Verschiebungen der letzten zwei Dekaden. Doch ebenso kompliziert wie sich die Einteilung nach nationalen, künstlerischen Identitäten gestaltet, so durchlässig und ausufernd ist auch der Begriff der Zeichnung an sich geworden. Er wird auf eine skizzenhafte, prozessorientierte, abstrahierende und lineare Ausdrucksart bezogen und manifestiert sich in hybriden Formen.
Zilla Leutenegger und Ingo Giezendanner spielen die Möglichkeit des Zusammenfügens der unterschiedlichen Medien je beispielhaft durch. Sie nutzen in ihren Installationen Mittel wie Video, Klangelemente und Wandzeichnung und inszenieren gekonnt mal ein melancholisches, mal ein urban geprägtes Lebensgefühl in comicartigen Stimmungsbildern. Yves Netzhammer, Urs Fischer, Boris Rebetez und andere überführen die Zeichnung in den Raum und arbeiten mit Materialien wie Folie, Kordel oder Sockel. Andere Werke, beispielsweise dasjenige von Nic Hess, der mit Klebeband Eduard Munchs Schrei an der Wand übers Eck multipliziert, sprengen den traditionellen Bildrahmen. Die grossformatige Arbeit von Robert Ireland, abstrakte Formen in farbigem Kunstharz auf Papier, gerät sehr in die Nähe der Malerei, Jean Crottis Experimente mit unterschiedlichen Druckverfahren auf Materialien wie Militärdecken werden hingegen auch als Druckgrafiken gehandelt. Ante Timmermann überrascht mit einer einzigen, durchlöcherten Radierung, die dank dem Hellraumprojektor zwei Bilder offenbart, die gegensätzlicher nicht sein könnten.
Ob von medialen Vorlagen beeinflusst wie bei Marc Bauer, in einem skizzenhaften, tagebuchartigen Stil wie bei Annelies Coste oder mit vectorisierten Linien wie bei Joëlle Flumet, die Zeichnung lebt wie nie zuvor. Gerade deshalb hätte man sich noch mehr wirklich ortsbezogene Arbeiten in der inspirierenden Ausstellung gewünscht. Statt der gerahmten Zeichnungen für die gute Stube könnte man sich von Silvia Buonvicini eine auf dem Teppichboden eingebrannte Zeichnung denken oder von Didier Rittener eine wandfüllende Arbeit. Diese hätte die charakteristische Art des heutigen, sitespezifischen Kunstschaffens noch schärfer gezeichnet.

Erica Magrey - Auf der Suche nach dem goldenen Spandex

Die in New York lebende Video- und Performancekünstlerin Erica Magrey (*1977) arbeitet von Januar bis Juni im Austauschatelier der iaab in Riehen. Die iaab vergibt sieben Ateliers in der Region Basel an ausländische Kunstschaffende und stellt Kunstschaffenden der Region Basel und Südbaden (DE) Gastateliers in 13 Partnerländern zur Verfügung. Die iaab wird von den beiden Basler Kantonen, von Riehen, Lörrach und Freiburg/B sowie von der Christoph Merian Stiftung (Projektleitung) getragen.

Jörg: Du bist von Brooklyn, New York, direkt nach Riehen gekommen. Hattest du einen Kulturschock?
Magrey: Ich musste mich schon akklimatisieren. Wenige Tage nach meiner Ankunft ging ich an einen Anlass im Beyeler-Museum. Ich dachte mir: Cool, ich zieh mir etwas Hübsches an. Ich wählte ein bodenlanges Kostüm aus den Sechzigerjahren, nicht gerade unauffällig. Ich kam mir dann aber unmöglich deplatziert vor. Da realisierte ich, dass ich mich hier etwas mässigen muss. In New York ist es üblich, verrückte Kleider zu tragen. In Riehen scheint das anders zu sein.
Jörg: Du hast viel mit Kostümen zu tun. Für dein alter Ego ‹Metalmags›, eine junge Frau, die in deinen Videos und Performances durch Science-Fiction-Welten der Sechziger- und Siebzigerjahre wandelt, kreierst du die Kleider selber. Wie steht es mit diesen hier hängenden Stücken?
Magrey: Als ich in Basel ankam, suchte ich als Erstes Stoffläden auf, um Materialien für meine Kostüme zu kaufen. Aber die Stoffe, die ich mir vorstellte, gibt es in Basel nicht. Während meiner Suche nach goldenem Spandex wurde ich immer wieder gefragt, wozu ich denn so was brauche. Das sei doch höchstens für die Fasnacht. Auf die Fasnacht war ich dann natürlich sehr gespannt und wollte auch daran teilnehmen. Das war naheliegend, da das Verkleiden zu meiner Arbeit gehört. Als ich mich aber genauer informierte, dachte ich: Okay, vielleicht schaue ich besser einfach mal zu. Die Fasnacht scheint in Basel ja ziemlich insidermässig organisiert zu sein. Nach dem Morgenstreich glaubte ich, eine Vorstellung davon zu haben, wie die Menschen hier sind. Alles so ordentlich und geregelt! Unglaublich! Aber interessant.
Jörg: Hat sich deine Arbeit seit deiner Ankunft hier im Januar verändert?
Magrey: Der Aufenthalt in Riehen hat meinen Umgang mit Mustern und Farben geprägt. Alles hat sich mehr dem Rostbraun der mittelalterlichen Stadt angenähert. Einige Kleider habe ich aus Leintüchern aus dem Brockenhaus genäht. Meine Arbeit enthält nun Teile von Bettbezügen, welche die Baslerinnen und Basler weggegeben haben.
Jörg: Wieso die Kunstfigur ‹Metalmags›?
Magrey: Ich brauche diese Figur oft, um Dinge zu tun, die ich sonst nicht tun würde. Bevor ich ‹Metalmags› entwickelte, experimentierte ich mit einem anderen Alter Ego. Im Secondhandshop fand ich eine Halskette, welche die Aufschrift Lois trug. Mir gefiel der Name, und so begann ich, die Halskette zu tragen. Wenn ich mir nicht sicher war, ob ich mir zum Beispiel jenes crazy Shirt kaufen sollte, dachte ich: «Okay, Lois wird es kaufen!» So hatte ich immer eine Entschuldigung.
Jörg: Vielleicht wäre es gut, wenn wir alle ein Alter Ego hätten?
Magrey: Ja, vielleicht.
Jörg: Welche Vorteile hat dein Alter Ego sonst noch für dich?
Magrey: Ich kann damit eine starke, inspirierende Frau verkörpern. ‹Metalmags› tauchte erstmals in einem Musikprojekt auf. Ihre visuelle Repräsentation kam dazu, als ich begann, Videos zu machen. Mit dieser Integrationsfigur kann ich alle meine Interessen unter einen Hut bringen. Musik, Tanz, Video, Modellbau, Rollenspiel, Kostüme, Geschichten und Science Fiction.
Jörg: Wieso interessieren dich Science Fiction der Siebzigerjahre?
Magrey: Es ist nicht nur die Ästhetik, die mich fasziniert, sondern auch die lebensbejahende, zukunftsgerichtete, naive Idee, dass die Technik uns alle retten könnte. Aus extraterrestrischer Perspektive scheinen die Differenzen zwischen den einzelnen Kulturen aufgehoben zu sein. Als Teil der Menschheit vereint, «lost in space» zu sein, ist schön und romantisch.
Jörg: Diese Message ist universell verständlich. Wie haben die Schweizerinnen und Schweizer auf deine Arbeit reagiert?
Magrey: Mir wurde bewusst, wie stark meine Videos auf das amerikanische Fernsehen referieren. Das Schweizer Publikum kann viele Bezüge wohl nicht herstellen, weil ihm diese Sendungen nicht geläufig sind. In der Schweiz scheint Fernsehen generell weniger populär zu sein. Zudem wissen die Leute nicht recht, wo sie die Videos einordnen sollen. Ich habe meine Arbeit auch schon an unterschiedlichen Orten gezeigt. In Galerien, als Performances, aber auch im TV. Ich liebe die Vorstellung, dass irgendjemand am Morgen um 4 Uhr im Sofa hängt und mein Musikvideo ins Wohnzimmer flimmert. So kommt auch ein kunstfernes Publikum mit meiner Arbeit in Kontakt.
Jörg: Wer wird dein nächstes Publikum sein?
Magrey: Im Sommer habe ich eine Performance in New York geplant. Ich werde dann ein Kostüm tragen, das ich in der Schweiz entwickelt habe. Die hier gefertigten Stücke sind im Vergleich zu den New Yorker Gewändern farblich weniger schrill und formal klarer. Sie erinnern eher an die Figuren von Oskar Schlemmer oder an das Bauhaus. Dieses kreisrunde Kleid zum Beispiel, aus dem nur Arme, Kopf und Beine herausragen, lässt wenig Bewegungsfreiheit zu. Durch die Begrenzung entstehen neue Bedingungen für meine Performance. Das interessiert mich.

Ich habe dieses Interview ursprünglich in Englisch geführt.

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